Pillen fürs Glück

von Silvia Pomella

Auch in Südtirol leiden immer mehr Menschen an einer Depression. Dagegen kann eine Psychotherapie helfen. Diese ist aber leider immer noch ein Tabuthema.

Pillen fürs Glück

“Viviamo in piccole città (nascosti dalla nebbia) 

prendiamo pillole per la felicità (misericordia) 

Non siamo virgole (amiamo l’Inghilterra) 

Crediamo nell’eternità.”

Deutlich, kurz und präzise, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. 

So bringt Cesare Cremonini in seinem Lied „Mondo“ eine unangenehme Wahrheit ans Tageslicht, die wir oft ignorieren und verstecken: Wir nehmen Pillen fürs Glück.

Denn glücklich sein geht nicht automatisch und selbst wenn es so wäre, ist es sicher kein Zustand, der immer gleich bleibt, unabhängig vom Rest, unabhängig von den Problemen des Alltags und den Problemen der Welt. Wir sehen es in diesen Monaten der Pandemie, in denen es nicht immer einfach ist, fröhlich, glücklich, entspannt zu bleiben. 

Und leider gibt es keinen Knopf mit der Aufschrift „Hier drücken, um glücklich zu sein“, den wir in traurigen, verzweifelten oder deprimierenden Momenten drücken können. 

Wenn Traurigkeit zur Depression wird

Natürlich ist es kein großes Problem, wenn wir über eine vorübergehende Traurigkeit sprechen, die kommt, wenn man eine 4 in der Lateinprüfung schreibt oder wenn der geliebte Hund stirbt oder wenn dein Freund oder deine Freundin dich verlässt. 

Sicher, es tut weh, es ist schlimm, aber langsam, langsam verschwindet sie, man beginnt wieder zu leben, zu lachen, glücklich zu sein. Diese Traurigkeit ist oft sogar notwendig, um sich zu verändern und, vor allem, um wachsen zu können. 

Ein größeres Problem besteht dann, wenn die vorübergehende Traurigkeit andauert und beginnt uns zu belasten, zu jeder Tageszeit, in jeder Woche, jedem Monat, jedem Jahr. 

Dann kann sie in eine totale Abwesenheit von Emotionen übergehen, in Apathie, eine depressive Stimmung.

In diesem Moment spricht man nicht mehr von Traurigkeit, sondern von Depressionen: einer psychischen Störung. 

Das Heilmittel?

Es gibt mehrere: 

„Leugner“ von psychischen Störungen (diejenigen, die sagen, dass Depressionen keine richtigen Krankheiten sind) würden sagen, dass es reicht, an die frische Luft zu gehen und Sport zu treiben; Wissenschaftler, welchen ich eher mein Vertrauen schenken würde, sagen, dass die wirksamste Behandlung die Psychotherapie ist. 

Psychotherapie: ihre Grenzen und das Stigma

Korrekt, wenn da nicht zwei Probleme wären: Auch heute noch gibt es ein großes Stigma rund um Psychotherapie und die psychische Gesundheit im Allgemeinen. 

Wenn du eine Psychotherapie machst, musst du zwangsläufig ein verrückter Mensch sein. Solltest du nicht verrückt sein, dann bist du sicherlich schwach, jemand, der wie kleine Kinder über seine Gefühle reden muss . . . was für ein Gejammer! 

Das ist das Stigma, welches die labilsten Menschen dazu bringt, Möglichkeiten für Wachstum und Heilung, wie eine Therapie, auszuschließen. Sie wollen sich nicht schämen, sie wollen nicht die Vorurteile der Gesellschaft auf ihnen lasten haben, also tun sie es nicht. 

Das zweite Problem ist, dass die Psychotherapie manchmal nicht ausreicht, der Schmerz könnte zu grausam sein, die Kräfte zu gering, der Wille zu leben und somit zu heilen, könnte gleich Null sein. 

Zum Glück gibt es  dafür aber eine Lösung. Genau in diesem Moment können die berühmten Glückspillen, die wir zu Beginn erwähnt haben, ins Spiel kommen: Psychopharmaka oder, wenn es sich um Depressionen handelt, Antidepressiva. 

Wir machen es schließlich jeden Tag mit jedem anderen Unwohlsein: Haben wir Kopfschmerzen? Dann nehmen wir eine Tablette. Haben wir einen unerträglichen Bauchkrampf? Dann nehmen wir ein Schmerzmittel.

Wir nehmen es und es fühlt sich an wie die normalste Sache der Welt. Es gibt genug Situationen, in denen man einfach das Gefühl hat, ein wenig „Hilfe“ von außen zu bekommen, richtig? 

Externe Hilfe, die von der Gesellschaft nicht akzeptiert wird

Es ist also ein Widerspruch, dass die Annahme von Hilfe bei einer psychischen Störung nicht mehr als etwas Normales, Notwendiges, Nützliches angesehen wird.

Hier ist wieder das Stigma: du bist verrückt und, wenn du nicht verrückt bist, bist du definitiv schwach. 

In Wahrheit erfordert es jedoch viel Kraft und Mut, Antidepressiva einzunehmen: Diese Hilfe anzunehmen, bedeutet zu akzeptieren, dass man nicht stark genug ist, sich selbst zu heilen. 

Es bedeutet, sich der eigenen Zerbrechlichkeit bewusst zu werden. Es ist, als müsse man sich ergeben, als müsse man eine Niederlage akzeptieren. Und dies ist meiner Meinung nach keine Schwäche, sondern eine Stärke. 

Es ist daher unendlich ungerecht, dass Menschen mit psychischen Störungen, die so tapfer und zerbrechlich zugleich sind, auch unter den Vorurteilen der Gesellschaft leiden müssen, welche nicht in der Lage ist, psychische Störungen als echte Störungen zu erkennen, vergleichbar mit körperlichen Krankheiten, wie beispielsweise einem Knochenbruch. 

Denn schließlich sind wir in dieser Gesellschaft alle ein wenig Leugner, was psychische Störungen angeht, da sie weniger ernst erscheinen, weniger aggressiv, weniger gefährlich, weniger sichtbar, weniger alles. 

Die Zahlen der Störung 

Doch 2019 nahmen sich allein in der Autonomen Provinz Bozen 41 Menschen das Leben. 

Eine Person jede Woche des Jahres, mehr oder weniger. Jede Woche starb ein Mensch in der Stille und allein, überwältigt von seinem inneren Schmerz. 

In Italien leiden 17 Millionen Bürger*innen an psychischen Störungen. 

Sind diese psychischen Störungen immer noch nicht gefährlich, nicht ernst, nicht sichtbar, nicht aggressiv?

Ich glaube nicht: Ich glaube, dass die dringende Notwendigkeit, dieses Problem ernst zu nehmen, an diesem Punkt klar ist. 

Was tun: Schritte zur Akzeptanz und Normalisierung

Doch noch bevor man die Ernsthaftigkeit des Problems erkennen kann, ist es wichtig, es zunächst als reales, konkretes Problem anzuerkennen, und das ist es, was in vielen Ländern noch fehlt: psychische Erkrankungen als das anzuerkennen, was sie sind, nämlich eine echte Krankheit. 

Erst durch diesen Schritt werden sich Menschen nicht mehr unwohl fühlen, zur Psychotherapie zu gehen, sondern fast mit Stolz mit ihren Freunden darüber sprechen. 

Nur so werden sich Menschen nicht mehr schämen, über ihr inneres Unwohlsein zu sprechen, sondern endlich wissen, dass sie ihre Lieben um Hilfe bitten können.

Nur wenn diese Krankheiten ernst genommen werden, werden Menschen nicht mehr einsam, schweigend und in ihrem eigenen Schmerz versunken sterben müssen, sondern haben auch die Chance wieder glücklich zu werden.

Denn das ist schließlich das Endziel: glücklich zu sein. Und es kommt nicht darauf an, was man braucht, um glücklich zu sein, ob es eine Psychotherapie oder unsere Glückspillen sind, sondern vielmehr, dass man glücklich ist.

Denn obwohl glücklich sein nicht automatisch und andauernd ist, glaube ich fest daran, dass es jedem Menschen zusteht, glücklich zu sein.

Hier findest du Hilfe

Wenn du dich alleine fühlst, eine schwierige Zeit durchlebst, dann habe keine Angst und keinen Scham diese Website zu besuchen: www.dubistnichtallein.it

Quellenverzeichnis